Nationale Pandemie-Taskforce

Politiker müssen in der Pandemie Entscheidungen treffen, damit …

  • möglichst wenig Menschen sollen erkranken oder gar sterben,
  • das gesell­schaft­liche Leben soll halbwegs erträglich sein und
  • die Wirtschaft muss einigermaßen funktionieren.

Die Zusam­men­hänge innerhalb dieser Bereiche und zwischen ihnen sind so komplex, dass weder Politiker noch Wissenschaftler oder Wirtschaftsexperten die Entwicklung insgesamt oder die Wirkung von Maß­nahmen im Einzelnen genau genug vorhersagen können. Von Banalitäten einmal abgesehen: im kompletten lock-down kommt das Infektionsgeschehen nach vier Wochen zum Stehen. Aber zu welchem Preis?

Welche Ziele können die Politiker bei ihren Entscheidungen leiten? Was sollten sie insgesamt bedenken? Wie sehen ihre Entscheidungs­vorlagen aus? Auf welchen Fakten und Evidenzen beruhen sie? Wer erstellt sie?

Angesichts dieser Situation können wir von Politikern schlicht und einfach nicht erwarten, dass sie immer treffsicher entscheiden, schon gar nicht bei der aktuellen, löchrigen Daten- und Informations­basis. Daten treffen immer noch mit erheblichen Verzögerungen ein, folglich können Politiker auch nur mit Verzögerungen entscheiden. In dieser Zeit hat sich die Situation aber schon wieder weiterentwickelt. Statistik-Studenten in Anfangssemestern können heute mit Standard-Software zeigen, dass Infektions­zahlen bei diesem Virus, diesen Ausbreitungsmöglichkeiten und diesen Latenzzeiten einfach durch die Decke gehen (müssen)! Und  dennoch müssen Politiker entscheiden.

Klaus Reinhardt und Andreas Gassen forderte bereits im August 2020 die Einrichtung eines Nationalen Pandemierates. Die aktuelle Entwicklung des Infektionsgeschehens vor und nach der letzten Konferenz der Bundeskanzlerin und der Ministerpräsidenten unterstreicht diese Notwendigkeit. Der Ärztliche Pandemierat soll am 10.11.2020 unter Federführung der Bundesärztekammer erstmals tagen.

Aber nicht nur Ärzte sehen sich vor diese Herausforderungen gestellt. Sie betreffen das gesamte Gesundheitssystem. Deshalb ist auch eine thematische Verbreiterung dieser Einrichtung schon angedacht.

Wir gehen noch einen Schritt weiter und fordern für diese Einrichtung zusätzliche operative Kompetenzen:
Aus dem Pandemierat wird die Nationale Pandemie-Taskforce.
Nach politischen Entscheidungen sind immer koordinierende Maßnahmen zur regionalen Umsetzung erforderlich. Und die gehen deutlich über die Aufgaben eines beratenden Pandemierates hinaus und überschreien auch die operativen Möglichkeiten der Selbstverwaltung bei weitem.

Und bei alldem dürfen wir möglichst wenig Zeit verlieren. Was Zeitverlust bedeutet, hat die Arbeitsgruppe um Viola Priesemann bereits im Juni 2020 gezeigt. Zeitverzögerungen von zwei Wochen zwischen dem Erkennen einer bedrohlichen Entwicklung, der politischen Entscheidungs­findung, der parlamentarischen Entscheidung, der Umsetzung der Maßnahmen und schließlich der Wirkung auf das Infektionsgeschehen sind einfach zu lang! Die Folgen kann man an der aktuellen Entwicklung leicht ablesen! Es geht nicht darum, Schuld zu verteilen, sondern darum, das nächste Mal besser zu werden. Und das nächste Mal kommt bestimmt!

Die Nationale Pandemie-Taskforce verbessert die sachliche Auseinandersetzung auf wissen­schaftlicher Grundlage.

Die Bedeutung von Daten und Fakten sowie die Evidenzen zum Infektions­geschehen, zur Epidemio­logie und zu Behandlungsmöglichkeiten sind bundesweit einheitlich. Deshalb sollten sie auch an einer Stelle erhoben und zur Politikberatung aufbereitet werden. Eine solche Stelle existiert nicht.

Wie kann die Pandemie-Taskforce konkret helfen?

Dieses Wissen gilt einheitlich in der ganzen Bundesrepublik. Virologen, Infektiologen und Epidemio­logen sollten sich regelmäßig in Konklave begeben und die Türen erst öffnen, wenn sie sich auf einen Kern mit der höchsten Evidenz geeinigt haben. Dieser wird in verständlicher Form den Politikern als Entscheidungsgrundlage und der Bevölkerung zur Information bereitgestellt. Dabei helfen Kommuni­kations­fachleute. Sobald neue Erkenntnisse gewonnen werden, wird das Konklave wieder einberufen. In der Zwischen­zeit bleiben Talkshows von widersprüchlichen Individualmeinungen verschont, Redakteure und Moderatoren beziehen sich auf die konsentierten Verlautbarungen.

Die Taskforce würde solche Abstimmungsrunden koordinieren.

Wir benötigen nicht viele, aber auch diese wenigen sind nicht zeitnah und valide verfügbar. Die Größe folgender Gruppen sollte kennen: Risikopersonen, Personen, die getestet werden sollten, getestete Personen, positiv getestete Personen, Patienten in Quarantäne, Patienten im Krankenhaus, Patienten auf der Intensivstation, jeweils aufgeschlüsselt nach Tag, Alter, Geschlecht, Wohnort, testende und behandelnde Einrichtung und zusätzlich einige gesundheits­bezogene Daten. Täglich, zeitnah, in elektronisch verarbeitbarer Form. Fertig. Warum gibt es die nicht? Wer wäre für ihre Bereitstellung verantwortlich?

Die Taskforce würde dafür sorgen, dass solche Daten zuverlässig bereitstehen.

Mit solchen Daten hätten wir ein klares Bild über das Infektionsgeschehen sowie über vorhandene und belegte Behandlungskapazitäten: zu jedem Zeitpunkt und im Zeitverlauf. Zusammen mit Wissen­schaf­tlern würde die Taskforce diese Daten interpretieren, Prognosen erstellen und Simulationen für unterschiedliche Interventionsstrategien rechnen. Methoden dafür sind seit langem bekannt und erprobt. Die Zuverlässigkeit der Ergebnisse und Vorhersagen steht und fällt mit der Existenz, der Vollständigkeit und der Qualität der Daten.

Wegen der unklaren Kenntnisse über das Virus und der Komplexität des gesamten Infektions­geschehens müssen wir auf Sicht fahren! Die Straße kann man nur durch eine saubere Frontscheibe erkennen: Nur Daten zeigen uns, wo es lang geht!

Die Taskforce kann faktenbasierte Strategien für Interventionen planen, bewerten und laufend optimieren.

Deshalb schlagen wir den zügigen Aufbau einer Pandemie-Taskforce vor.

Sie kann zunächst folgende Aufgaben übernehmen:

  • Erhebung von Kapazitäten in Gesundheitsversorgung und im öffentlichen Gesundheitsdienst
  • Aufbau von sicheren und zuverlässigen IT-basierten Monitoring- und Berichtsstrukturen
  • Sammlung, Abgleich und Aufbereitung valider Daten
  • Bereitstellung und Interpretation aussagekräftiger Analysen
  • Erstellung von Prognosen und Simulationen mit Best- und Worst-Case-Analysen
  • Erstellung und Bewertung intelligenter, abgestufter Interventionsstrategien
  • Erarbeitung von Entscheidungsgrundlagen für Politiker mit verständlichen Erläuterungen.
  • Erstellung eines einheitlichen Kommunikationskonzeptes

Die Pandemie-Taskforce ist eine ständige Einrichtung. Größe und Zusammensetzung folgen der aktuellen Dynamik. Sie sollte interdisziplinär aufgestellt sein wie etwa der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, Gremien der Leopoldina, der Deutsche Ethikrat oder Gremien des Deutschen Netzwerkes Versorgungsforschung. Ihre Aussagen haben beste wissenschaftliche Qualität, sie werden wahrgenommen und akzeptiert – auf Bundesebene und in jedem Bundesland. Wer etwas besser weiß, ist eingeladen seine Evidenz rechtzeitig einzubringen.

Solche Herausforderungen für das Gesundheitssystem werden zunehmen. Immer wieder zeigen sich dabei die Gräben zwischen Bund und Ländern, zwischen Politik und Selbstverwaltung sowie zwischen Selbstverwaltung und Versorgungseinrichtungen. Diese Gräben sind nicht Ausdruck von Böswilligkeit der Beteiligten, sondern sie sind systemisch im Design des Gesundheitssystems zementiert.

Unter dem Titel “Strategiewechsel jetzt” zeigen wir, dass ein Nationales Institut für Gesundheit diese Blockaden bereits mittelfristig überwinden kann.

Das NIG ist im Bereich zwischen Politik, Gesundheitsversorgung, Wissenschaft und Bevölkerung  angesiedelt. Seine Hauptaufgaben sind

  • die Politikberatung zur Verbesserung des Gemeinwohls in allen Fragen der Gesundheit,
  • die Steuerung des Gesundheitssystems zum Nutzen aller Beteiligten,
  • die Entwicklung des Gesundheitssystems in eine sichere Zukunft.

Details dazu und Literatur finden Sie unter www.strategiewechsel-jetzt.de oder bei den Autoren.